150 Jahre Bahnhof Oeventrop
In diesen Tagen steht für unseren Ort ein Jubiläum an, was unter „normalen Umständen“ sicherlich größer gefeiert worden wäre, geplante Feierlichkeiten fielen aber leider der aktuellen Situation zum Opfer.
Dennoch bin ich der Meinung, dass dieses Ereignis nicht gänzlich unerwähnt an uns vorüber ziehen sollte, daher möchte ich auf diesem Wege einen kurzen geschichtlichen Werdegang des Bahnhofs Oeventrop, aber auch ein paar persönliche Eindrücke, für uns Oeventroper festhalten.
Wie alles begann:
Bereits am 30. Juni 1866 beschloss die „Bergisch-Märkische-Eisenbahngesellschaft“ den Bau der Strecke von Schwerte über Arnsberg nach Warburg. Hier schloss man an die schon 1851 eröffnete Strecke weiter nach Kassel an. Damals gab es nur private Eisenbahnunternehmen und keine Staatsbahn wie heute die DB. Die Planungs- und Vermessungsarbeiten im engen Ruhrtal, das damals noch ganz anders aussah als wir es heute kennen, sorgten dafür, dass die Bauphase ziemlich lange dauerte. Die Ruhr wurde an vielen Stellen begradigt oder in ein völlig neues Flussbett umgeleitet, um Brückenbauwerke einzusparen, dies geschah unter anderem auch in Oeventrop so, weswegen es auch heute noch die „alte Ruhr“ unter der Vogelstange gibt. Zudem waren viele Dammbauwerke, Tunnel und Viadukte notwendig. Die Bahn veränderte das Gesicht des Ruhrtals also durchaus nachhaltig.
Vieles wurde auch einfach improvisiert. Der Bahnhof Oeventrop sollte zum Beispiel ursprünglich an einer anderen Stelle gebaut werden, nämlich am Bahnübergang an der Kirschstraße direkt gegenüber der Kirche, also auf dem heutigen Gelände der „Kohlenklinik“. Die Bahngesellschaft hatte die dazu benötigten Grundstücke bereits erworben und ich weiß aus erster Quelle, dass der Parkplatz vor der Praxisgemeinschaft noch bis ins Jahr 2008 der Deutschen Bahn gehörte. Wäre der Bahnhof an dieser Stelle gebaut worden, hätte er alten Planungen zufolge auch nicht „Station Oeventrop“, sondern, wie der Tunnel in Richtung Freienohl ja auch „Glösinger Tunnel“ heißt, „Station Glösingen“ heißen sollen. Möglicherweise würde dann heute auch nicht in „Oeventrop“ auf unseren Ortsschildern stehen, sondern „Glösingen“. Dies liegt aber natürlich nur im Bereich der Spekulation. Da die Schienen aber an dieser Stelle in einer engen Kurve liegen und hier das Höhenniveau deutlich ansteigt, wurde letzten Endes der heutige Standort für den Bahnhof gewählt, wo die Platzverhältnisse nicht so beengt waren und die Züge auf dem ebenen Gleis noch etwas Schwung für die Steigung holen konnten.
Am 18. Dezember 1871 war es dann endlich soweit: Der erste Zug rollte in den Bahnhof Oeventrop. Hierzu wurde auch ein Foto angefertigt, das Bedienstete des Bahnhofs zeigt und auch die Bauarbeiter, die das Bahnhofsgebäude errichtet haben. Dies ist wahrscheinlich auch eine der ersten jemals in Oeventrop aufgenommenen Fotographien überhaupt.
Das Bahnhofsgebäude wurde im Baustil des Neobarock erreichtet, und passte eigentlich gar nicht so recht zur üblichen Fachwerk-Architektur des Sauerlandes. Doch dieser Baustil, mit seinen großen Rundbogenfenstern und dem breiten Quaderputz, der Pompösität über Zweckmäßigkeit stellte, war damals in ganz Europa der letzte Schrei. Man entschied sich bewusst für diesen Stil, um den Aufbruch des erst im Januar 1871 gegründeten deutschen Kaiserreiches in eine glanzvolle Zukunft architektonisch zu versinnbildlichen.
Und tatsächlich entwickelte sich der Ort seit Eröffnung der Eisenbahnlinie durch das Ruhrtal schnell. Es siedelten sich die Glashütte am Oemberg, und in direkter Nähe des Bahnhofs die Chemiefabrik und insgesamt drei Stuhl- und Möbelfabriken an, die den Bahnhof zum Empfang und Versand ihrer Waren benutzten. Die chemische Fabrik wie auch die Zellstofffabrik in Wildhausen besaßen sogar eigene Gleisanschlüsse und Werkslokomotiven. Reste dieses Anschlussgleises in Richtung Wildshausen liegen sogar noch heute.
Die Einwohnerzahl des Ortes stieg zusammen mit der wirtschaftlichen Entwicklung stark an. Lebten im Jahre der Eröffnung der Bahnstrecke erst um die 800 Menschen in Oeventrop, waren es Ende der 1920er Jahre bereits über 2000. Auf dem Bahnhof war damals eine Menge los. Neben den heute noch vorhandenen zwei Streckengleisen für den Personenverkehr gab es noch weitere Lade- und Abstellgleise für den Güterverkehr, die dafür nötigen Weichen und Signale wurden von zwei mechanischen Stellwerken aus über Drahtzugleitungen gesteuert, ebenso sicherten die Stellwerke auch die beiden Bahnübergänge mit Schranken. Auf alten Aufnahmen des Bahnhofsgeländes vom Hasenacker aus erkennt man, dass oft unzählige Güterwaggons auf den Gleisen des Bahnhofs zur Be- und Entladung standen, und dass sich an der an das Bahnhofsgebäude angebauten Güterabfertigung ebenfalls die Waggons aufreihten.
Im Bahnhofsgebäude selbst gab es eine Fahrkartenausgabe, Wartesäle, die nach Klassen unterteilt waren, die Gepäck- und Güterabfertigung für Waren aller Art in der angebauten Güterabfertigung, Diensträume und Wohnungen für die Bahnbeamten und nicht zuletzt die Bahnhofsgaststätte, die über einen Zeitraum von fast 100 Jahren (1871-1967) von lediglich zwei Pächtern betrieben wurde, Vater und Sohn Loewe. (Siehe hierzu auch den Beitrag im Heft “Oeventroper Kneipenkultur“)
Am 31.7.1967 wurde die Bahnhofsgaststätte geschlossen, und somit begann also etwa 100 Jahre nach dessen Eröffnung der Stern des Oeventroper Bahnhofs langsam aber sicher zu sinken. Im Jahre 1974 wurde die Fahrkartenausgabe geschlossen, und kurze Zeit später auch die Güterabfertigung beendet. Viele der Fabriken in Oeventrop schlossen oder verlagerten ihren Warenverkehr auf den flexibleren und kostengünstigeren LKW, und somit kam auch die Verladetätigkeit an den Ladegleisen spätestens Anfang der 80er Jahre zum Erliegen. Bahnhofsgebäude und Güterabfertigung verfielen mit der Zeit immer weiter, die Fenster der ehemaligen Gaststätte waren mit Bretten zugenagelt, ein Teil des Dachs der maroden Güterhalle stürzte ein, die ehemaligen Gleisflächen überwucherten mit Gestrüpp und überall lag Müll herum. Im Jahr 1987 wurde der Bahnhof als Betriebsstelle aufgegeben, nach dem Rückbau aller Nebengleise, Weichen und Signale wurde das größere der beiden Stellwerke an der Oeventroper Straße leider sofort abgerissen. Glücklicherweise konnte aber das zweite Stellwerk, dessen offizielle Dienststellenbezeichnung „Oeventrop Ost“ lautete, vor dem Abriss bewahrt werden.
Der ehemals zwischen den Gleisen 1 und 2 liegende Mittelbahnsteig wurde auf das Planum des ehemaligen Gleises 3 gelegt, die Flächen der ehemaligen Ladegleise wurde schließlich Mitte der 90er Jahre mit dem Parkplatz und dem neuen Widayweg überbaut.
Im Jahre 1988 war der Bahnhof zu einem derartigen Schadfleck geworden, dass sogar die große „Süddeutsche Zeitung“, deren Redakteur wohl zufällig auf einer Wanderung durch Oeventrop gekommen sein musste, einen Artikel mit dem Titel „Jeder halbwegs gebildete Mitteleuropäer kennt Oeventrop“ herausbrachte. Zu dieser Zeit hatte mein Vater Wilfried auch zum ersten Mal Kontakt zur damaligen Bundesbahn aufgenommen, ob man bereit wäre, das Bahnhofsgebäude zu verkaufen.
Letzten Endes gelang der Kauf des Gebäudes dann im Frühjahr 1996. Ich erinnere mich noch an einen Fototermin mit der Westfalenpost vor dem noch völlig verfallenen Gebäude im Sommer 1996. Dass wir das wirklich schaffen würden, aus dieser Ruine wieder ein Wohnhaus zu machen, konnte ich mir nicht damals überhaupt nicht vorstellen. Ich war damals zwölf Jahre alt und kann mich noch gut daran erinnern, wie manch ein Oeventroper uns damals dafür belächelt hatte, und meinte, ob es nicht sinnvoller wäre, das Gebäude einfach abzureißen und neu zu bauen. Vielleicht wäre es das wirklich günstiger gewesen, aber für meinen Vater kam das nie infrage. Für mich selbst war das riesige Gelände mit damals noch über 4000 Quadratmetern einfach nur wie ein unendlicher Abenteuerspielplatz. Es gab riesige Keller und der alten Güterhalle zu erkunden, einen alten Luftschutzbunker unter dem Bahnhofsvorplatz, und man konnte sogar noch durch ein Verbindungsbauwerk von der alten Güterhalle über die Straße hinweg direkt in die alte Stuhlfabrik hineingelangen. Mit vielen meiner Freunde habe am Bahnhof das eine oder andere Abenteuer erlebt und Entdeckungen gemacht. Im einem zugemauerten Winkel des Bahnhofs fanden wir Gewehre aus dem ersten Weltkrieg, und sogar eine noch ungeöffnete Flasche Oeventroper Bier förderten die Aufräumarbeiten zu Tage. Im Gewölbe des Bierkellers ist übrigens auch heute noch das Loch zu sehen, durch das früher die Bierleitung zur Bahnhofstheke führte. Fast zeitgleich mit dem Bahnhof verpachtete uns die Bahn dann auch das Stellwerk an der Kirchstraße. Die ursprüngliche Planung meines Vaters, hier eine Modelleisenbahn zu installieren, kam nicht so ganz zur Umsetzung, aber ich denke die letztendlich stattgefundene Umfunktionierung des Stellwerks ist mittlerweile einigen Oeventropern durchaus bekannt. Prost! 😉
Mittlerweile leben wir Schiweks nun seit 25 Jahren im Bahnhof, und damit immerhin auch schon 1/6 seiner Bestandszeit. Unsere ganze Familie hat mittlerweile mit Sicherheit einen besonderen Bezug zu diesem Gebäude: Im Frühjahr 1945 kam meine Großmutter Irmgard Schiwek auf Empfehlung meines Großvaters auf dem Oeventroper Bahnhof an, nachdem sie Königsberg unmittelbar vor dessen Zerstörung verlassen hatte. Das Ende des Krieges erlebte sie hier, und blieb. Nach fast fünfzig Jahren im Haus in der Eggesiedlung zog sie zu uns zum Bahnhof herunter und starb letztendlich auch dort, wo sie 73 Jahre zuvor angekommen war. Für meinen Vater, seines Zeichens ja großer Eisenbahn-Fan, war es ein Lebenstraum dieses Haus einmal zu bewohnen, und ich denke die letzten 25 Jahre im Bahnhof wird keiner von uns missen wollen. Als „Das Tor zur Welt“ wurde der Bahnhof bei der Eröffnung des Streckenabschnitts Arnsberg-Meschede genannt, und das ist trotz alle anderen und neueren Verkehrsmittel auch ein Stück weit bis heute so geblieben. Ich erinnere mich noch gut an einen Samstagmorgen, an dem auf dem Bahnsteig in Richtung Arnsberg eine Reisegruppe stand, die deren Ziel Kanada war, während zur gleichen Zeit auf dem Seite Richtung Meschede eine Reisegruppe stand,
deren Ziel Neuseeland gewesen ist. Ich habe auf jeden Fall schon eine Menge kurze, aber oft sehr interessante Gespräche mit den Reisenden und deren Zielen über den Gartenzaun hinweg geführt, soviel ist sicher. Das eine oder andere Mal dient man auch gerne als Assistenz beim Fahrtkartenkauf am Automaten, als Reiseauskunft oder ganz selten auch mal als Tröster mit einer Flasche Bier, wenn plötzlich jemand, der gerade ausgestiegen ist feststellt, dass „das hier nicht Wuppertal-Oberbarmen ist?! “und das der nächste Zug auch erst in einer Stunde zurück fährt. Lustig sind auch immer die „Vorher-Nachhher-Vergleiche“, wenn man samstagmorgens eine Truppe sieht, die nach Willingen, Köln oder Düsseldorf, zum Bundesliga-Fußball oder wie gerade aktuell zum Weihnachtsmarkt nach Dortmund aufbricht, und dann sieht, wie in welchem Zustand sie dann abends zurückkommen. Auch so manch rührende Abschiedsszene bekommt man beim zufälligen Blick durchs Fenster zu sehen, oder auch die Freudentränen beim Widersehen, Abschied und Ankunft gehören an diesem Ort nun mal dazu wie die die Züge selbst. Ein Zugunglück hat es in den 150 Jahren seines Bestehens im Bahnhof Oeventrop, wie auch auf der Ruhrtalbahn, nie gegeben, und hoffentlich bleibt dies auch weiterhin so.
Das Leben hier am Bahnhof war immer interessant und abwechslungsreich, und für mich ist der Oeventroper Bahnhof, wie auch unser ganzer Ort, einfach etwas ganz besonderes.
Auf die nächsten 150 Jahre und allen Reisenden allzeit Gute Fahrt!
von Ramon Schiwek
Ausfahrt eines Zuges in Richtung Hagen, ebenfalls im April 1986.
Das „Freie Fahrt“ anzeigende Flügelsignal befindet sich übrigens immer noch in Oeventrop. Es steht heute neben dem Bahnhof. Mein Vater Wilfried kaufte es damals für 300 DM von der Bundesbahn ab, und es „durfte“ hier im Ort bleiben.
Aufnahme freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Stephan und Martin Zöllner.
www.sauerlandbahnen.de/seiten/bhf/eovp.htm
1987 wurden dann alle Nebengleise abgerissen und der Bahnsteig nach außen verlegt.
Für die folgenden Bilder ein herzliches Dankeschön an Thomas Lütke!
Text: Ramon Schiwek
Fotos: Thomas Lütke, Archiv Franz Rüther und Archiv Franz-Josef Molitor
Alle Bilder finden Sie hier: